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Auf der Spur

Mit jedem Schritt durch den schneebedeckten Wald wird die kühle Luft etwas stechender. Unter seinen Füßen bilden sich gut sichtbare Abdrücke, genauso gut sichtbar wie die Abdrücke, die vor ihm liegen. Die Sonne steht bereits tief am Firmament und schenkt seinem Körper ein paar letzte, warme Strahlen, die aber kaum gegen die Winterkälte ankommen. Dem Jäger macht es nichts aus. In seinem Inneren brennt bereits ein loderndes Feuer, welches ihn unbeirrt vorantreibt. Sein Kopf ist voll von einem einzigen Gedanken: Jagen. Nach einigem Stöbern im Wald hatte er ein Tier auf einer Lichtung stehen sehen. Es war groß, von ungewöhnlicher Schönheit und einer gewissen Eleganz. Die langen Beine tasteten sich vorsichtig durch den Schnee, schleichend, in der Hoffnung, nicht entdeckt zu werden. Es war ein törichter Gedanke anzunehmen, es würde ihm gegen einen Meister der Jagd helfen. Seine Vorfreude benebelte seine Gedanken und das Tier verschwand von der Lichtung, unklar, ob es ihn überhaupt entdeckt hatte, oder nur seinen Weg weiterverfolgte. Dann nahm der Jäger die Fährte auf. Er wird an seinen Spuren hängen, bis es seiner erliegt. Ein Schwall aus Erregung huscht durch seinen Körper.
Das Wetter ist mit ihm. Es fällt kein Schnee, um die Spuren zu verdecken und die Luft ist so still, dass sich kaum ein Zweig rührt oder das weiße Pulver über den Boden tanzt. Selbst der Geruch der Kreatur scheint in der Luft zu stehen und bildet eine weitere Bahn zu seinem Ziel. Vorsichtig, leise, aber auch zügig schreitet er weiter. 
Seine dunklen Augen wandern zwischen Boden und Ferne hin und her. Äste streifen seinen Leib und ein wenig Schnee bleibt im dichten Haar hängen. Er schüttelt ihn sich schnell ab. Plötzlich hört er etwas von links. Er bleibt stehen, rührt sich nicht und starrt mit angestrengten Blick in die Richtung aus der das Rascheln zu vernehmen ist. Ein kleiner, weißer Hase hüpft über den Boden, die Nase in den Schnee gedrückt, nach Futter suchend. Er scheint ihn noch nicht bemerkt zu haben. Du hast heute Glück, mein kleiner Freund. Er dreht den Kopf wieder in Richtung seiner Spur. Das Ziel vor seinen Augen ist größer und es ist eines, das ihn sättigen und befriedigen wird. Der Jäger setzt seinen Weg fort. Seine Anwesenheit wird vom Wald und dessen Kreaturen kaum wahrgenommen. Für jeden Vogel, jeden Hasen, jedes noch so kleine Lebewesen wäre es zu spät gewesen, er hätte Sie alle haben können. Doch nicht jetzt. 
Mit jedem Schritt weiß er, dass er näherkommt.
Mit jedem Schritt scheint der Geruch in der Luft dicker und einladender zu werden.
Etwas Wasser läuft in seinem Mund zusammen beim Gedanken an das Tier. Er eilt nun schneller und freudiger vorwärts. Nach einigen Metern verlangsamt der Jäger sich wieder und duckt sich leicht. Er sieht es. Er sieht es ganz deutlich. Seine Beute versteckt sich im Gebüsch, wohl in der Hoffnung, ungesehen zu bleiben und starrt fest in eine ihm abgewandte Richtung. Sie ist mit dem Rücken zu ihm gekehrt und wird ihn nicht kommen sehen. Der Jäger macht sich noch ein Stück kleiner und beobachtet sein Ziel. Es scheint ebenfalls konzentriert zu sein, aber nicht auf seine Umgebung, sondern auf etwas, das vor ihm liegt.


Der Mann legt sein Gewehr an seiner Schulter an. Der mächtige Hirsch, der vor ihm am Boden nach Futter sucht, hat seine Anwesenheit noch nicht bemerkt. Noch nie hat er so ein großes, schönes Geweih gesehen. Die Äste ragen weit nach oben, verzweigten sich und nehmen somit auch eine erstaunliche Breite ein. Über Kimme und Korn zielt er auf den Leib des Hirsches. Es war einfach, aber auch langwierig, ihn wieder zu finden, doch nun ist er nur noch einen Atemzug vom Erfolg entfernt. Der Hirsch hält plötzlich inne und hebt seinen Kopf, starrt angespannt in die Richtung des Mannes.


Jetzt ist der Moment gekommen.

Ein Schuss hallt durch den Wald. Der Hirsch erstarrt. Der Mann hat die Waffe komplett verzogen, als ihn plötzlich von hinten ein Wolf in den Nacken sprang und ihn zu Boden drängte. Der Mann reißt panisch die Augen auf und schreit vor Schmerz, als der Jäger seine Zähne in sein Fleisch rammt, ganz als existiere die dicke Jacke zwischen ihm und den Leib nicht. Die Erregung findet ihren Höhepunkt in einem Moment geformt aus Leben und Tod, danach verebbt sie langsam, als der Wolf das letzte, verzweifelte Ringen spürt und die Beute ihren Verletzungen erliegt. Rote Bahnen ziehen sich durch den Schnee und Blut tropft vom Maul. Die Ekstase verschwindet, die Jagd ist beendet und der Hirsch verschwindet im Dickicht des Waldes.
 

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